Friday, December 01, 2006

 

Lernen zu unterliegen

Verlieren können

Wenn man an einem Wettbewerb teilnimmt, dann weiß man, auch wenn man noch so stark ist, dass man auch unterliegen könnte. Man kann nicht immer siegen, Niederlagen gehören zum Leben. Halt, Stopp, dies gilt nicht, wenn von den Türken die Rede ist... Der Türke an sich unterliegt niemals. Schon gar nicht, wenn es sich um einen zutiefst männlichen Sport handelt – so männlich, dass der Ball, den man in das gegnerische Tor schießt, als Penis angesehen wird, der in die Mutter oder die Ehefrau des Gegners eindringt.

Nach dem WM-Qualifikationsspiel (im November 2005) gegen die Schweiz hat die türkische Mannschaft in Istanbul Schweizer Fußballer verprügelt, sogar vor laufenden Kameras.

In der Berliner Morgenpost appellierte Trainer Christoph Daum an die Öffentlichkeit, nicht gegen die Türkei zu sein, sie nicht zu verurteilen, die Sache nicht einseitig zu sehen. Nichts für ungut, Herr Daum, aber ich bin wieder einmal zu dem Schluss gekommen, dass man „den Unseren“ eine Lektion erteilen muss. Zugegeben, Fanatismus gibt es überall – brüllen, fluchen, Münzen aufs Spielfeld werfen... Aber bei den Türken gibt es nicht nur Hooliganismus sondern innerhalb dieses Fanatismus in starkem Maße auch Nationalismus und Rassismus.

Als „unsere Jungs“ nicht nach den Regeln siegen konnten, als sie 4:2 verloren, schlugen sie eben regelwidrig zu. Die türkische Kraft reichte, um wehrlose Gäste zu schlagen, die ihnen zahlenmäßig unterlegen waren. Die türkische Öffentlichkeit ächtete diese Ausschreitungen nicht moralisch: „Wir sind nun mal emotionale und sensible Menschen. Außerdem haben die Anderen angefangen“ ... Gemeint ist der Schweizer Spieler Benjamin Huggel, der bereits zum Ausdruck gebracht hat, wie sehr er es bereue, den Trainer Mehmet Özdilek getreten zu haben. Abgesehen davon hatte die Aggression schon während des Spiels begonnen, ja sogar schon vor dem Spiel, und nicht erst danach.

Wohl wissend, dass ein einziger Provokateur ausreicht, um die türkische Wut zum Rasen zu bringen (siehe das Pogrom vom 6.-7. September), blieb Fatih Terim der gemeinsamen Pressekonferenz fern und bezichtigte die Schweizer des „unzivilisierten Verhaltens“, um die Massen zu mobilisieren und den Gegner einzuschüchtern. Sie haben „unsere Nationalhymne ausgepfiffen“, sagte er. Statt einander die Bälle sportlich zuzuspielen und harmlose Schaumschlägerei zu betreiben, wird gedroht und eingeschüchtert. Die Aggression ist organisiert: Am Flughafen, auf der Fahrt ins Hotel, in der Spielpause. 10 Minuten vor dem Abpfiff warnen Offizielle die ausländische Presse: „Denkt nicht einmal daran, das, was hier gleich geschehen wird, zu filmen!“ In der Hölle der Türkei ist nicht die Barbarei verboten, sondern das Dokumentieren der Barbarei.

Vergleichbares erlebten im November vorletzten Jahres Deutsche in Istanbul. Die U21-Junioren wurden bei dem Spiel, das 1:1 endete, durch aufs Spielfeld geworfene Flaschen verletzt und nach dem Spiel von Sicherheitskräften und Polizeibeamten verprügelt und getreten. Der tschechische Schiedsrichter musste mit 2 Stichen am Kopf genäht werden. Sie alle verstanden die Welt nicht mehr und fragten sich, ob sie auf dem Schlachtfeld seien. Wohl weil die UEFA damals nur 2 Spielsperren verhängte, sagte der in Deutschland geborene und aufgewachsene Yildiray Bastürk, nach seiner Rückkehr nach Berlin, es sei nichts vorgefallen, was eine ernsthafte Strafe gegen die türkische Nationalmannschaft rechtfertigen würde und dass beide Seiten beteiligt waren. Ach ja... Auch wenn sie an alte Schuld erinnert werden, sagen diese Leute, dass „beide Seiten beteiligt waren“.

Wo ist da der Zusammenhang, höre ich einige fragen. Hier die Antwort: „Bei der Fahrt der Gastmannschaft vom Hotel demonstrierte eine Gruppe türkischer Fans gegen den „Völkermord-Vorwurf“ der Schweiz. Die Schweizer Fußballer beobachteten die mit türkischen Fahnen wedelnden Protestler fassungslos und verdutzt.“

Wer seinerzeit wegen einer Menschenrechtsverletzung ungestraft davonkam, echauffiert sich nun und demonstriert ethisches Feingefühl. Nicht nur, dass die eigene Schuld nicht anerkannt wird, nein. Der Täter wird auf der Stelle zum Opfer erklärt und spielt den Unschuldigen: „Man tut uns Unrecht.“ So weit ist man von gentlemanlikem Verhalten und auch von der Achtung des Rechts entfernt. Inakzeptabel, dass man auf Augenhöhe mit anderen ist, dass man nicht der Überlegene, der Herrschende ist.

Und hat man verloren, akzeptiert man einfach nicht, verloren zu haben. Man wittert mal wieder eine Verschwörung... Siehe Fatih Terim. An die Möglichkeit, der Gegner könnte besser gespielt haben, mag er erst gar nicht denken und beschuldigt postwendend die Anderen: „Wir haben gegen 12 Personen gespielt.“ Der belgische Schiedsrichter, die Tatsache, dass der FIFA-Präsident ein Schweizer ist... Alles Beweise dafür, dass uns alle, aber auch alle, zum Feind erklärt haben. Schließlich wussten wir es schon immer: Der einzige Freund des Türken ist der Türke und „der Ungläubige taugt nicht zum Gesell’, das Schwein liefert kein Fell“...

Die reinste Fußball-Hölle hatte ich zuletzt im Jahr 2000 in Istanbul erlebt. 2 britische Leeds-Fans waren von Türken ermordet worden. Sie hätten auf die türkische Fahne gepinkelt...

Darüber, dass die Türken in Istanbul eine Niederlage erlitten und ihre Fans 2006 in Deutschland lediglich als Zuschauer würden dabei sein können, war ich nicht wenig erfreut. Ich wünschte, ich hätte Gelegenheit gehabt, den Schweizern die in Istanbul versäumte Gastfreundschaft entgegenzubringen – dafür, dass sie uns die „Eroberer“ erspart haben.

Übersetzung: Hülya Engin
Aus der Kolumne YELDAs in der GÜNDEM, 22.11.2005:
www.gundem-online.com/yazarlar.asp?bolumid=89


 

Unsere Fahne, unsere Hymne

Unsere Herrschaft über die Anderen

An deutschen Schulen gibt es keine Fahnenzeremonie. In der Türkei jedoch, ist die Fahne selbst an den Universitäten, den „Stätten des Wissens“ fester Bestandteil der Disziplinarbestimmungen: „Schulische Fahnenzeremonien behindernde Verhaltensweisen sowie absichtlicher Mangel an Respekterweisung während der Fahnenzeremonien“ gelten als Disziplinarvergehen...

Sich erheben und voller Stolz die Nationalhymne schmettern – das ist hier weitestgehend auf die Rechten beschränkt. Dieses Land bietet vielen Menschen eine Zufluchtsstätte, die aus Ländern mit einem Demokratiedefizit kommen. Und die meisten Bürger dieses Landes kennen den Text der Nationalhymne nicht. Dass vor Jahren, als Helmut Kohl Kanzler war, ein staatlicher Fernsehsender auf die Idee kam, zum Programmschluss die Nationalhymne zu spielen, wird hierzulande heute noch kritisiert. Es gibt Vorbehalte wie: „Sollten wir uns deutscher fühlen oder demokratischer? Es ist nicht nötig, die Nationalhymne auswendig zu lernen, oder die Farben der Fahne zu mögen. Womit er sich identifiziert und am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, ist jedem selbst überlassen Nationale Symbole wie Fahnen oder Hymnen sind albern.“

Bei uns jedoch hat selbst der Gegner unserer Nationalhymne Respekt zu erweisen und stillzustehen, andernfalls kann nicht mehr für sein Leben garantiert werden. Als sich herausstellte, dass die Schweizer Fußballfans unserem hymnischen „Fürchte nicht, die in der Morgendämmerung wehende rote Fahne kann nicht untergehen...“ nicht den nach unseren Maßstäben angemessenen Respekt erwiesen, wurden sie in Istanbul eben mit Fahnenstöcken erwartet. Wessen Kultur muslimisch geprägt ist, spielt sich als Herrscher auf und möchte als solcher Respekt erhalten. Es ist bereits eine Beleidigung, seine Hegemonie nicht anzuerkennen: „Sie haben unsere Fahne beleidigt.“ Oder besser noch: „Sie diskriminieren uns, sie sind Rassisten.“ Er ist es, der herrscht und der Fremde hat zu zeigen, dass er das weiß, und ihn mit „mein Pascha“ anzureden.

Als ich gehört hatte, dass die Schwedischen Fußballfans mit der Parole „Wir sind die besten Verlierer!“ (De bäste förlorare) gekommen waren, wurden mir die Wikinger richtig sympathisch. Und als ich erfuhr, dass zahlreiche deutsche Sportler sich davor gedrückt hatten, bei der Eröffnungsfeier der olympischen Winterspiele in Turin die deutsche Fahne zu tragen, hatte ich mich gleich wohler in Deutschland gefühlt. Schließlich hatte die Fahne dann doch eine von ihnen getragen (die Biathletin Kati Wilhelm nämlich), aber eine Zeitlang war man auf der Fahne sitzen geblieben. Wen immer man fragte, war die Antwort: „Nein, danke, das ist mir zuviel Stress“.

Eines Tages, wenn die Werte, die die Türkei und die Türken ausmachen, hinterfragt werden können, wenn Verantwortung für die Vergehen in unserer Geschichte übernommen wird, dann werden sich auch bei uns Sportler finden, die die ehrenvolle Aufgabe, die Nationalfahne zu tragen, dankend ablehnen mit der Bemerkung: „Das ist mir zuviel Stress.“ Dann wird die Presse die Meldung „Noch kein Fahnenträger in Sicht“ unter ferner liefen vermelden, und man wird nicht die Jagd auf Vaterlandsverräter eröffnen und das Leben wird seinen Lauf nehmen. Wie ich mich nach einer solchen „coolen“ Kultur sehne...

Übersetzung: Hülya Engin
Aus der Kolumne YELDAs in der GÜNDEM:
www.gundemimiz.com/yazarlar.asp?BolumId=89

 

Tore = Vergewaltigung?

Türken = Männer und Kurden = Frauen?

An jenem Abend saßen wir – vier Frauen – in einem Café, dessen Stammgäste größtenteils aus unseren linken männlichen Freunden und Mitstreitern bestanden. Wir kamen vom Hundertsten aufs Tausendste, tranken einen Tee nach dem anderen. Bei solchen Treffen sind wir oft bis tief in die Nacht noch unterwegs, aber heute Abend wäre das nicht angebracht. Denn es fand ein Fußballspiel statt, noch dazu ein Nationalspiel. Irgendwie war es dann doch 11 Uhr geworden. Wie hatte das passieren können? Normalerweise vergaßen wir nie, dass frau zeitig aufbrechen muss, wenn Fußball angesagt ist und rechtzeitig nach Hause flüchten, um dem Männerterror auf den Straßen zu entgehen. Wir beherzigten diese selbstauferlegte Vorsichtsmaßnahme, auch wenn wir dafür unsere Besprechung unterbrechen und vertagen mussten. Mit jedem jubelnden „Toooor“-Ruf aus dem Café wurde uns klar, dass die türkische Mannschaft das Tor geschossen haben musste. Auch wenn wir, im Gegensatz zu den Männern, herummeckerten: „Hoffentlich verlieren sie und verkriechen sich kleinlaut in ihre Löcher“, hatten wir an diesem Abend wohl für sehr abwegig gehalten, dass sie gewinnen könnten, und waren blieben sitzen. Aber was für ein Pech für uns, denn es sollte ein legendärer Tag werden... Wie Sie bereits erraten haben, spreche ich vom Abend des 26. April 1995, dem Abend der Begegnung Schweiz-Türkei und der Zeit nach der Begegnung.

Als wir auf die Straße traten, wurden wir regelrecht mit fünf Buchstaben bombardiert: P, K, K, A, M. Die Männer, die durch die Straßen zogen, fuchtelten mit türkischen Fahnen herum wie mit Waffen und grölten: „Türkischer Soldat, fick die Fotze PKK!“

Es mag unglaublich klingen, aber das ist der Wortlaut des Satzes, den sie brüllten. Dieser Satz schlug auf die Köpfe der Frauen nieder, und die der Kurden, auf die Köpfe aller, die nicht türkisch und männlich waren. Unsere Geschlechtsorgane flogen durch die Luft...

Um sich vor dem Männerterror zu schützen, braucht frau stets mehr Geld. Frau kann z. B. nicht einfach so an der Bushaltestele warten, frau muss sich schleunigst in ein Taxi retten. So machten wir es auch und jede machte sich auf den Nachhauseweg... Was für eine Fahrt... Der Taxifahrer, der die ganze Zeit seine Hand hinaushielt, die er zum Zeichen der Grauen Wölfe geformt hatte... Ein unaufhörliches Hupkonzert... Der Fahrer des Wagens vor uns, der aufs Geratewohl in die Gegend schoss mit seiner Pistole... Als der Verkehr ins Erliegen kommt, gibt es keinen anderen Ausweg als auszusteigen und zu laufen. Ein Lastwagen voller Männer, die auch die Hand zum Zeichen der Grauen Wölfe formen und mir zu verstehen geben, ich solle es ihnen gleichtun... Soweit kommt’s noch... Auch wenn ich das, was ich sagen möchte, aus Angst nicht sagen kann – sie können mich nicht dazu zwingen, etwas zu tun, was ich nicht tun will.

Bin ich nachts auf einer menschenleeren Straße, habe ich Angst. Aber ich wünsche mir nicht, dass jemand vorbeikommt, denn immer ist dieser Jemand entweder ein Mann oder ein Streifenwagen. Sehe ich aber eine Frau, eine Katze oder ein Kind, fühle ich mich sicher. Dieser Abend aber ist nicht menschenleer, sondern menschenvoll, besser männervoll... Selbst zehnjährige Männer sind an diesem Abend furchteinflößend. Die grölende Menge hat die Türken zu Männern erklärt, die Kurden zu Frauen, die PKK wird personifiziert, feminisiert und vermeintlich vergewaltigt. Männer fast aller Altersstufen, die Soldaten vergangener und kommender Zeiten also, skandieren mit Inbrunst den Satz, in dem besagte fünf Buchstaben vorkommen, die die Kurden und die Frauen betreffen (wehe dem, der Kurde und Frau ist!). Sie fürchten sich vor den Kurden, den Frauen und dem Krieg und grölen Kriegsgeschrei... Wer weiß, wie viele Guerillakämpfer und wie viele Soldaten in genau diesem Augenblick getötet wurden... Und wie viele Menschen, die sich weigerten „Ich bin Türke!“ oder „Ich bin Muslim!“ zu rufen, seit geraumer Zeit aus ihrer Heimat vertrieben wurden...

Während diejenigen auf mich zu stürzen, die Länder und Leiber besetzen wollen, habe ich keine Sicherheit für Leib und Leben. Aber begründete Angst habe ich. Eine Frau, nachts auf der Straße, noch dazu im Minirock, zu allem Überfluss auch noch pro-kurdisch, wie einige meinen. Diese bewaffneten Männer könnten die „pro-kurdische Hure“ erschießen oder vergewaltigen. In jener Nacht hätte ich eine von den Erschossenen sein können. Ich wollte schnell weg, denn ich war mir sicher, dass es gewalttätig enden würde, wenn ich ihnen erhobenen Hauptes in die Augen gesehen hätte. Ich schlich mich davon, wie meine Geschlechtsgenossinnen Jahrhunderte zuvor, mit gesenktem Blick, immer dicht an der Wand entlang, mit schnellen Schritten – und bog in die erstbeste Seitenstraße. Unsichtbar sein, nicht da sein – das war die Devise.

So wurde ein nationaler (Fußball-)Sieg gefeiert. (...)

Übersetzung: Hülya Engin

Aus dem Buch ‘Çoğunluk aydınlarında ırkçılık’ (Rassismus der Intellektuellen der Mehrheit), YELDA, Belge Verlag, S. 132.


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