Saturday, May 17, 2008

 

Hagop Martayan Dilâçar / Anunı Hagop E!

Übersetzung: Hülya Engin
Aus dem Buch "Istanbul'da, Diyarbakir'da AZALIRKEN", Yelda, Belge Verlag, Istanbul, 3. Auflage Januar 2000. (Die erste Veröffentlichung des Artikels: "SÖZ", 13. Januar 1996.)


Anunı Hagop E!

YELDA

Kommen wir zum Sprachwissenschaftler und Lexikografen Hagop (die Türken sagen Agop) Martayan Dilâçar, der sich große Verdienste um die Entwicklung der türkischen Sprache erwarb.

Als Anerkennung dieser Verdienste erhielt Martayan, Leiter der Fachkommission der Gesellschaft für die Türkische Sprache (Türk Dil Kurumu, kurz: TDK) nach 1935 auf Wunsch Mustafa Kemals den Familiennamen Dilâçar (in etwa: Spracherläuterer). Aber seit Jahren ist er lediglich unter dem Namen ‘A. Dilâçar’ bekannt. Also fragt man sich: Wer ist A. Dilâçar? Wofür steht das A? Für Ahmet oder für Arif oder für Abdullah? Oder handelt es sich um Adil Açar? Als wäre Agop Ahmet...

Als Martayan 84-jährig in Istanbul verstarb, hatten Senatspräsident Sırrı Atalay und Cahit Külebi von der TDK in ihren Kondolenztelegrammen an Martayans Familie den Vornamen nicht ausgeschrieben, desgleichen hatte sich die TDK auch in ihrer Nachrufanzeige in der Zeitung für die Form A. Dilâçar entschieden und darüber hinaus keine Angaben zum Ort der Beisetzung gemacht. Auch Ömer Asım Aksoy erwähnt in seinem zweiseitigen Nachruf nur einmal den Namen des Gewürdigten und schreibt über den Verstorbenen, dessen letzte Ruhestätte auf dem Armenischen Friedhof in Şişli liegt: „(...) Agop Dilâçar, der Armenisch und wer weiß noch wie viele andere Sprachen beherrschte, hatte – auch wenn seine ‘Rasse’ und ‘Religion’ von Geburt anders waren – sich die türkische und muslimische Kultur zu eigen gemacht. Er lebte als Türke, als türkischer Nationalist und erwarb einen bedeutenden Platz in der Reihe derer, die sich für die Erforschung der türkischen Sprache einsetzten.“

Diese Haltung gehört nicht etwa in längst vergangene Zeiten, sondern gilt auch heute noch. Auch gegenwärtig gibt die TDK Hagop Martayan Dilâçars Werke unter A. Dilâçar heraus und macht keinerlei Angaben zur Identität des Autors.

Wer hat den Namen Agop je gehört?

Am 12. September 1979, am Tag nach Martayan Dilâçars Tod, berichtet der staatliche Fernsehsender TRT in der Hauptausgabe seiner Nachrichtensendung um 20.30 Uhr ausführlich über den Verstorbenen. Rober Haddeciyan kommentiert wie folgt „Für uns war es ein großer Trost, dass unser vielseitiger Intellektueller im Staatsfernsehen gewürdigt wurde. In der Meldung über Hagop Martayan Dilâçar hatte der Sprecher lediglich dessen Nachnamen genannt: Dilâçar. Hatte er keinen Vornamen? Angesichts dieser Formulierung, die in den Ohren kratzte, hatten wir immer und immer wieder rufen wollen: Sein Name ist Hagop! Doch wir konnten nicht. Ob man sich nur dann der Vornamen von Armeniern erinnert, wenn im Ausland etwas Verwerfliches gegen die Türken unternommen wurde? Aber den Verstorbenen bewusst mit dem Vornamen zu nennen und daran zu erinnern, dass er Armenier war, wäre nicht gerade das eine schöne Geste gewesen? Darüber hinaus hätte es den türkischen Intellektuellen- und Akademikerkreisen des Landes zur Ehre gereicht. Ja, sein Name ist Hagop. Aber wer hat ihn je gehört?“

Umso erfreulicher ist es, dass zu einer Zeit, als Armenier mit ASALA gleichgesetzt werden, der Journalist Aydın Engin das Verschweigen des Vornamens beanstandet und kein gutes Haar an den Machthabern lässt. An ‘alle, die eine derart skandalöse Zensur’ ausüben, ‘dass der Name Agop Dilâçar nicht im Fernsehen genannt werden darf’, an ‘die Machthaber, die Opposition sowie die gesamte beifällige Bourgeoisie’ gerichtet sagt er Folgendes: „Mit dem Verschweigen eines armenischen Vornamens hat man die Offenlegung unserer nationalen Schande verhindert. Ja, man bedenke, ausgerechnet ein Armenier erdreistet sich, bedeutende Beiträge zur Erforschung unserer Sprache zu leisten. Beginge die TRT des jüngsten türkischen Staates jemals einen derartigen Vaterlandsverrat?“

Auch der später von Faschisten ermordete Professor Cavit Orhan Tütengil erteilte Martayan die letzte Ehre.

‘Ausländischer Wissenschaftler’

Martayans Lebensdaten: 1915 Eintritt in die Armee. Verletzung an der Kaukasischen Front und Auszeichnung mit einem Orden. Dann, mit einem neuen Einberufungsbefehl erneut an die Front: „Einige Offiziere, Angehörige der Minderheiten, nutzten die Schwächungen im Osten zur Flucht. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, werden diese als Gegenmaßnahme in den Süden geschickt. Obwohl sie von ihren Vorgesetzten geschätzt werden. Martayan gehört zu den in diesem Zusammenhang Genannten.“ In Damaskus angekommen, wird er Mustafa Kemal Pascha vorgeführt, nicht etwa als tapferer Offizier, der ‘sein Blut fürs Vaterland vergoss’, sondern unter Spionageverdacht. Er wurde in Untersuchungshaft genommen, weil er bei der Übermittlung der Lebensmittelforderungen britischer Offiziere als Dolmetscher behilflich war. Das Buch, das man in seiner Tasche findet, ist eine noch unfertige Grammatik, die dazu dienen soll, deutschen Offizieren die türkische Sprache zu vermitteln. „Ein Offizier, der während der Schlacht ein Buch bei sich hat, das ist ein wahrlich seltener Anblick.“ So begegnet M. Kemal zum ersten Mal dem in lateinischen Buchstaben transkribierten alten Alphabet.

Anschließender Aufenthalt in Beirut, dann Rückkehr nach Istanbul. In Sofia, wohin er nach seiner Eheschließung übersiedelt, lehrt er an der Swobodan Universität ‘östliche Sprachen’ sowie Osmanisch (1931-32). Ruşen Eşref, der Martayans in Armenisch verfasste Schriften zur türkischen Sprache regelmäßig übersetzt, lässt sie Mustafa Kemal zukommen. Dieser hält Martayan für einen Fachmann, der den wissenschaftlichen Nachweis erbringen wird, dass Türkisch eine alte Kultursprache ist und lässt Martayan auf die Liste ‘der ausländischen Wissenschaftler und Fachleute’ setzen, die an dem Kongress der Türkischen Sprache (1932) teilnehmen sollen. Anlässlich des Kongresses nach Istanbul gekommen, begegnet Hagop Martayan, nach 15 Jahren, erneut Mustafa Kemal. Am Ende des Kongresses wird er zum Leiter der Expertenkommission der TDK berufen. Wiederum von Atatürk persönlich verpflichtet und berufen, lehrt Martayan an der neu gegründeten Philosophischen Fakultät vergleichende (historische) und allgemeine Sprachwissenschaften. Er ist Lehrbeauftragter der Abteilung für Fremdsprachen der Universität Istanbul sowie Fremdsprachlehrer an mehreren Gymnasien. Daneben bekleidet er den Posten des Beraters und Chefredakteurs der Türkischen Enzyklopädie, zu deren Autoren er gehört.

Neben seinen in armenischer Sprache geschriebenen, unveröffentlichten Abhandlungen und Untersuchungen verfasst er folgende türkischsprachige Werke: Azeri Türkçesi, Azerbeidschanisch (1950), Batı Türkçesi, Westliches Türkisch (1953), Lehçelerin Yazılma Tarzı, Türk Dil ve Lehçelerinin Tasnifi Meselesi, Die Schriftliche Wiedergabe der Dialekte, Die Frage der Klassifizierung der Turksprachen und –dialekte (1954), Devlet Dili Olarak Türkçe, Türkisch als Staatssprache (1962), Wilhelm Thomsen ve Orhun Yazıtlarının Çözülüşü, Wilhelm Thomsen und die Entzifferung der Orhun-Schriften (1963), Türk Diline Genel Bir Bakış, Allgemeine Darstellung der türkischen Sprache (1964), Türkiye’de Dil Özleşmesi Sprachpurismus in der Türkei (1965), Dil, Diller ve Dilcilik Sprache, Sprachen und Sprachwissenschaft (1968), Katadgu Bilig İncelemesi Untersuchung zu Katadgu Bilig (1972), Anadili İlkeleri ve Türkiye Dışındaki Başlıca Uygulamalar Muttersprachliche Grundsätze und ihre hauptsächlichen Anwendungen außerhalb der Türkei (1978).

Hagop Martayan Dilaçar

Die Mutter stammt aus Yozgat, sie ist die Tochter der Sarafyans. Der Vater ist Vahan Martayan aus Kayseri. Hagop Martayan wird in Istanbul geboren, wohin die Familie übersiedelte. Kindheit und Jugend verbringt er in Büyükdere, Gedikpaşa und Boyacıköy. Lernt neben Armenisch, Türkisch, Griechisch, Spanisch, Englisch auch Latein, Deutsch, Russisch und Bulgarisch... Er besucht die Grundschule an der von Missionaren gegründeten Amerikanischen Schule. Am Robert College ist er der einzige Schüler, der sämtliche Wahlfächer belegt, auch das ausschließlich für Mädchen vorgesehene Fach Kochen. Er ist einer der letzten Schüler von Tevfik Fikret und Mitbegründer des Fortschrittlichen Armenischen Vereins Boyacıköy.

Oder ist es vielmehr so, dass Dilaçar sehr wohl das Kürzel ‘A. Dilaçar’ verwendete, ja bewusst vorzog und ich ihn übereifrig und wichtigtuerisch an den Pranger stelle? Nein, er verbarg seinen Namen und seine armenische Identität nicht. Hätte er es gewollt, hätte er Hagop einfach zu Yakup machen können, was er jedoch nicht tat. Mehr noch, er schrieb zeitlebens für armenische Zeitungen und Zeitschriften, sogar unter dem Namen Hagop Artayan. Ohne Dilaçar... Wohl aus diesem Grund stand in der von seiner Familie in Auftrag gegebenen Todesanzeige auch sein Name als Agop Martayan Dilaçar.

Die Schwierigkeiten, denen man begegnet, wenn man in der Türkischen Republik mit armenischer Identität, mit einem solchen Namen, Karriere machen will, sind leicht vorauszusagen. Schließlich erlebte auch er am eigenen Leibe, wie schwierig es ist, ein Martayan zu sein. Rufen wir uns in Erinnerung, warum der 1979 verstorbene Hagop Martayan 1960 von seinem Posten in der Redaktion der Türkischen Enyzklopädie zurücktrat. Ein Blick auf den Artikel ‘Armenier’ in der 1984 fertig gestellten Enzyklopädie kann möglicherweise Hinweise dazu liefern:

“Hinsichtlich der Rasse und Sprache konnte keine Verbindung zwischen Armeniern und Urartu festgestellt werden. (...) Die Armenier, die sich nicht mit den umfangreichen Rechten begnügten, die ihnen die Türken gewährten und sich mit dem Gedanken der Gründung eines armenischen Staates mit Unterstützung durch europäische Staaten und die römische Kirche trugen, konnten keinerlei Unterstützung aus dem Westen zuwege bringen. (...) Das ist der Grund, warum die Armenier bei türkisch-russischen Kriegen stets die Russen unterstützt haben. “

Und die Sprache und Literatur der ‘heimtückischen, in Verrat an Staat und Vaterland’ befindlichen Armenier stehe unter dem Einfluss der türkischen und eifere dieser nach:

“Die Armenier, die ursprünglich keine mächtige und hohe Kultur besaßen, machten sich die türkische Kultur zu eigen. (...) So wie es keine armenische Küche gibt und an ihrer Statt die türkische übernommen wurde, ist auch in der Musik dieselbe Entwicklung zu verzeichnen. (...)”

Martayan habe sich angesichts der beim Entwurf dieses Lexikonartikels entstandenen Auseinandersetzung gezwungen gefühlt, von seinem Posten zurückzutreten. Und nach seinem Ausscheiden sei der oben zitierte, die Armenier diskriminierende Eintrag verfasst...

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Zur Aktualisierung:

Wenn man versucht, Türkisch zu lernen, und türkische Kultur kennen zu lernen, sollte auch über den Designer der türkischen Alphabet, Hagop Martayan Dilacar, informiert werden, denke ich. Übrigens, er ist einer der zwei Männer, die den „Atatürk“- Nachnamen vorgeschlagen haben –der Andere ist Necmettin Arikan.
Den Namen „Hagop Martayan Dilacar“ unter die Türken in Erinnerung zu rufen und Dankbarkeit zu zeigen ist nicht so leicht:
“Er ist der erste Person, der die Türkische Sprache kaputt gemacht hat. Erlogene Sprache, Kauderwelsch heißt Hagobisch... Sprach- und Schriftreform in der Türkei ist eine Aktion gegen den Islam und Muslimen.”
Und sie verfluchen, dass ein Mann jüdischer Herkunft, Mois Kohen, in unserer Geschichte, und ein Mann armenischer Herkunft, „Agop Martanyan“, in unserer Sprache eine Rolle gespielt haben durften.
So werden seine Verdienste um die türkische Sprache von den Islamisten mit Hasswörtern erniedrigt.
Und von den türkischen Nationalisten ignoriert. Bewusst gibt man Mühe, sein Name in Vergessen geraten zu sein/bleiben.
Über dieser Ignoranz von uns habe auch ich erst im Januar 1996 schreiben können. Zehn Jahre danach ist es möglich geworden im Internet etwas mehr zu finden. Man schreibt endlich über ihn und wiederholt, was ich damals recherchiert und geschrieben hatte, ohne meinen Namen zu zitieren.

Yelda, Mai 2008, Berlin


Fotograf: Raffi Kebabciyan

[1] http://ansiklopedi.turkcebilgi.com/Agop_Dila%C3%A7ar
„Dilde uydurmacılık adı verilen hareketini uygulayarak türkçeyi bozanların başında gelmektedir. Bu nedenle uydurukçaya Agopça adı da verilir. ...Türkiye’deki dil ve yazı devrimi, İslam’a ve Müslümanlara karşı yapılmış bir harekettir”
[2] www.el-aziz.com/modules.php?name=News&file=article&sid=1750
„Tarihimizde Yahudi asıllı Mois Kohen’in, Dilimizde Ermeni asıllı Agop Martanyan’ın imzası var…“
[3] Ein Beispiel: http://www.savaskarsitlari.org/arsiv.asp?ArsivTipID=1&ArsivAnaID=24932

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