Friday, December 01, 2006

 

Unsere Fahne, unsere Hymne

Unsere Herrschaft über die Anderen

An deutschen Schulen gibt es keine Fahnenzeremonie. In der Türkei jedoch, ist die Fahne selbst an den Universitäten, den „Stätten des Wissens“ fester Bestandteil der Disziplinarbestimmungen: „Schulische Fahnenzeremonien behindernde Verhaltensweisen sowie absichtlicher Mangel an Respekterweisung während der Fahnenzeremonien“ gelten als Disziplinarvergehen...

Sich erheben und voller Stolz die Nationalhymne schmettern – das ist hier weitestgehend auf die Rechten beschränkt. Dieses Land bietet vielen Menschen eine Zufluchtsstätte, die aus Ländern mit einem Demokratiedefizit kommen. Und die meisten Bürger dieses Landes kennen den Text der Nationalhymne nicht. Dass vor Jahren, als Helmut Kohl Kanzler war, ein staatlicher Fernsehsender auf die Idee kam, zum Programmschluss die Nationalhymne zu spielen, wird hierzulande heute noch kritisiert. Es gibt Vorbehalte wie: „Sollten wir uns deutscher fühlen oder demokratischer? Es ist nicht nötig, die Nationalhymne auswendig zu lernen, oder die Farben der Fahne zu mögen. Womit er sich identifiziert und am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, ist jedem selbst überlassen Nationale Symbole wie Fahnen oder Hymnen sind albern.“

Bei uns jedoch hat selbst der Gegner unserer Nationalhymne Respekt zu erweisen und stillzustehen, andernfalls kann nicht mehr für sein Leben garantiert werden. Als sich herausstellte, dass die Schweizer Fußballfans unserem hymnischen „Fürchte nicht, die in der Morgendämmerung wehende rote Fahne kann nicht untergehen...“ nicht den nach unseren Maßstäben angemessenen Respekt erwiesen, wurden sie in Istanbul eben mit Fahnenstöcken erwartet. Wessen Kultur muslimisch geprägt ist, spielt sich als Herrscher auf und möchte als solcher Respekt erhalten. Es ist bereits eine Beleidigung, seine Hegemonie nicht anzuerkennen: „Sie haben unsere Fahne beleidigt.“ Oder besser noch: „Sie diskriminieren uns, sie sind Rassisten.“ Er ist es, der herrscht und der Fremde hat zu zeigen, dass er das weiß, und ihn mit „mein Pascha“ anzureden.

Als ich gehört hatte, dass die Schwedischen Fußballfans mit der Parole „Wir sind die besten Verlierer!“ (De bäste förlorare) gekommen waren, wurden mir die Wikinger richtig sympathisch. Und als ich erfuhr, dass zahlreiche deutsche Sportler sich davor gedrückt hatten, bei der Eröffnungsfeier der olympischen Winterspiele in Turin die deutsche Fahne zu tragen, hatte ich mich gleich wohler in Deutschland gefühlt. Schließlich hatte die Fahne dann doch eine von ihnen getragen (die Biathletin Kati Wilhelm nämlich), aber eine Zeitlang war man auf der Fahne sitzen geblieben. Wen immer man fragte, war die Antwort: „Nein, danke, das ist mir zuviel Stress“.

Eines Tages, wenn die Werte, die die Türkei und die Türken ausmachen, hinterfragt werden können, wenn Verantwortung für die Vergehen in unserer Geschichte übernommen wird, dann werden sich auch bei uns Sportler finden, die die ehrenvolle Aufgabe, die Nationalfahne zu tragen, dankend ablehnen mit der Bemerkung: „Das ist mir zuviel Stress.“ Dann wird die Presse die Meldung „Noch kein Fahnenträger in Sicht“ unter ferner liefen vermelden, und man wird nicht die Jagd auf Vaterlandsverräter eröffnen und das Leben wird seinen Lauf nehmen. Wie ich mich nach einer solchen „coolen“ Kultur sehne...

Übersetzung: Hülya Engin
Aus der Kolumne YELDAs in der GÜNDEM:
www.gundemimiz.com/yazarlar.asp?BolumId=89

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