Tuesday, October 31, 2006

 

Pseudo- Demokratisierungsprozess der Türkei

Yelda, Juli 2006

Der Demokratisierungsprozess der Türken war 19. Jahrhundert eine “Besänftigung der europäischen Mächte, deren politischen Druck man fürchtete und deren finanzielle Unterstützung man wollte.”[1] Und es ist immer noch so.

Zurzeit sind 67 Autoren und Journalisten in der Türkei vor Gericht. Gerade wurde die Gefängnisstrafe vom armenischen Journalist Hrant Dink bestätigt. Sein Artikel stieß auf Paragraph 301: Beleidigung des Türkentums. 2005, am Vorabend der wichtigen Besprechung mit der EU, erklärte man sich gegen Dinks Bestrafung. Nun ist 3. Oktober 2005 vorüber und die Strafe darf durchgesetzt werden...

Neben den mit Zähneknirschen und nach langwierigem Gezerre verabschiedeten Anpassungsgesetzen gibt es in der Türkei Paragraphen, die gegen die Freiheiten sind und den Widerstand auch von der Regierungspartei AKP. Dieser Islamistenpartei gehören mindestens fünf Abgeordnete an, die mehrere Ehefrauen haben; einer der Polygamisten ist Halil Ürün.[2] Also ist es nicht weiter erstaunlich, wenn man einerseits EU-Anpassungsgesetze zum Beispiel zugunsten der Frauen verabschiedet und wenn gleichzeitig der AKP-Abgeordnete Nurettin Aktaş erklärt, der Ehemann sei der einzige Eigentümer in der türkischen Familie.

In so einer Türkei ist der sunnitisch-islamische Religionsunterricht auch für Nichtmuslime zwangsweise Pflicht. Der Glaubenswechsel ist zwar erlaubt, aber nur in eine Richtung: zum Islam. Aber selbst 400 Jahre nach der Konversion versucht man Sabbataisten auszugrenzen, wie bei der aktuellen Verfolgung so genannter Krypto-Juden. Schon das bloße Gerücht, dass nichtmuslimische Minderheitenstiftungen durch ein EU-Anpassungsgesetz für das ihnen genommene und verstaatlichte Eigentum entschädigt werden sollen, führt zum Terror gegen Nichtmuslime.[3] Während der Krise um die Mohammed-Karikaturen wurde in Trabzon ein katholischer Priester beim Gebet erschossen. Religiös motivierte Hasser brauchen aber nicht immer eine „Krise“: Soeben ist im Juli 2006 ein weiterer Priester auf offener Straße niedergestochen worden.[4]

Das Lieblingsgedicht des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdoğan, dessen Bodyguard ein Folterer ist, heißt denn auch „Die Minarette sind unser Bajonett, die Moscheen unsere Kaserne“.

Aber mit den Vorwürfen der „Islamophobie” und des “Rassismus gegen Türken” verstärkt sich die türkisch-islamische Synthese auch in Europa. Dadurch die von jeglichen Kritiken befreiter türkischer Politik bilden/dominieren die Meinung über die Minderheiten in und aus der Türkei. Die pro-kurdische Zeitung Özgür Politika wurde von der Rot-Grünen Koalition in Deutschland verboten. Nun werden die Kurden zu Wort gerufen, nur wenn es um Ehrenmorde o.ä. geht; nämlich als Täter. Das kurdische Volk und dessen Organisationen werden heute im besten Fall vergessen: Sie, die eine der größten Migrantengruppe, sind zum Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht eingeladen worden.[5]

Aber dem Kurdenfeind und Genozidleugner Doğu Perinçek erteilt die Redaktion des Berliner Programms Radio Multikulti das Rederecht. Derartige Hetzer wurden von der Werkstatt der Kulturen zu öffentlichen Vorträgen eingeladen, obwohl gleichzeitig der Berliner Polizeipräsident ein Veranstaltungsverbot ausgesprochen hatte.

Türkische Regierungen sollten eigentlich mittlerweile ihre Bevölkerung auf die Integration in die EU vorbereitet haben. Stattdessen wird das Land weiter in den Nationalismus getrieben und im Land islamistische Argumente gegen europäische/westliche Werte verbreitet. Die Kopenhagener Kriterien werden als künstlich gegen uns vom „Christenclub“ aufgestellte Hürden betrachtet. Noch immer wurden die in türkischen Schulbüchern reichlich vorhandenen Rassismen bei Neuauflagen nicht entfernt.

Viele vom türkischen Parlament verabschiedete EU-Anpassungsgesetze werden von der türkischen Regierung selbst übertreten. Eine ganz aktuelle Horrorgeschichte aus der türkischen Hauptstadt veranschaulicht das: Je stärker das Land islamisiert wird, um so mehr wird es zur Hölle auch für die LGBT (Lesben, Gays, Bisexuelle und Transgender): Bad Things are happening in Turkey

Deswegen ist es äußerst fraglich, ob man sich Hoffnung auf Reformen in der Türkei machen darf. Wie am Ende die Türkei und Europa aussehen werden, das verrät uns vielleicht der Erobererjargon der Türken: Man spricht nicht davon, dass man EU-Mitglied werden möchte, sondern das man Europa penetrieren wird...



[1] Zitiert nach Bernard Lewis: Der Untergang des Morgenlandes, bpb, 2002, S. 85

[2] Milliyet, 7.11.05; Hürriyet, 17.5.06

[3] KeHaber, 16.6.06

[4] Dritter Angriff auf christliche Geistliche in der Türkei seit Februar, FR, 4.7.06

[5] Kurden beklagen Ausgrenzung, FR vom 12.07.2006

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